Was die EU mit der Renaturierung will – und wie Forscher, Politiker und Bauern in Südtirol darüber denken.
Leitartikel
Hartes Land
Aus ff 27 vom Donnerstag, den 04. Juli 2024
Die Begrenzung der Plätze für Obdachlose zeigt, wie unsozial das Land geworden ist. Diesen Menschen zu helfen, ist ein Gebot der Menschenwürde. von Georg Mair, Chefredakteur
Jedes Jahr stellt sich in Südtirol die Frage: Wo sollen Menschen unterkommen, die auf der Straße leben? Die Einrichtungen für sie sind provisorisch – mit Ausnahme des „dormizil“ in Bozen, wo Obdachlose für einen Winter einen fixen und sicheren Platz bekommen, doch nirgends können sie tagsüber bleiben. Und im Sommer? Tja.
Einige von ihnen haben Arbeit, aber keine Wohnung. Stellen Sie sich das einmal vor: Sie kommen müde von der Arbeit heim, und Ihre Unterkunft ist ein Zelt am Eisack in Bozen! Mit dem Risiko, dass es die Stadtpolizei auf Geheiß des Bürgermeisters demontiert und ihre Habseligkeiten entsorgt. Renzo Caramaschi beklagt sich ja dauernd darüber, wie viele Obdachlose die Stadt ertragen muss. Oder wie kriminell seine Stadt doch geworden ist.
Wie sozial ist ein Land, das keine Wohnungen bereitstellt für Menschen, die Arbeit haben, Menschen, nach denen die Wirtschaft angeblich händeringend sucht? Wie sozial ist ein Land, das Menschen auf der Straße leben lässt? Das Leben von Menschen, die länger auf der Straße leben (müssen), ist für immer gezeichnet. Niemand von ihnen tut es freiwillig, auch wenn sie sich vielleicht daran gewöhnt haben.
Was sagt es über Südtirol, dieses reiche Land, dass sich -dieses Problem einfach nicht beheben lässt? Es sagt, dass wir nicht genug tun, dass wir nicht genug Geld aufbringen, dass wir die einfachen Lösungen bevorzugen, dass wir hartherzig geworden sind.
Hartherzig ist zum Beispiel die Beschränkung der Plätze für Obdachlose im kommenden Winter auf 300 statt 400 wie bisher (aufgeteilt auf die Städte, davon 200 in Bozen). So hat es Rosmarie Pamer, die neue Landesrätin für Soziales (ja, vom sozialen Flügel der SVP) in den Dolomiten verkündet. Sie verteidigt die Maßnahme damit, dass sonst Südtirol ein Anziehungspunkt für Menschen aus anderen Provinzen sei.
Wenn andere unsozial sind, ist das Einzige, was uns einfällt, auch unsozial zu werden. Die Rechten können sich die Hände reiben, die Mitte verschiebt sich selbst ohne Not nach rechts.
Wer also als Obdachloser einen Schlafplatz will, so die Regelung, muss „einen Bezug zu Südtirol“ aufweisen und sich rechtzeitig in eine Liste eintragen. Bitte, was soll das sein, „ein Bezug zu Südtirol“ und wozu die -umständliche Prozedur, sich an einem „Info-Point“ in eine Liste eintragen? Das ist Abschreckung, negative Sozialpolitik (das Virus der harten Hand scheint ansteckend zu sein).
Eine positive Sozialpolitik wäre, die Menschen, die 300, 400, die es sind, von der Straße zu holen. Mit konkreten Angeboten: Wohnung, Ausbildung, Arbeit – man kann es nicht oft genug wiederholen. Das wäre sinnvoller – und vor allem humaner.
Stellen wir uns vor, wie das wird, wenn der Winter kommt und die Temperaturen sinken und nur 300 obdachlose Menschen einen Schlafplatz bekommen? Lässt man dann die anderen einfach auf der Straße liegen, hofft man auf die Barmherzigkeit von Privaten oder der Kirche? Oder riskiert man gar, dass jemand stirbt?
Es ist die Pflicht der Personen, die regieren, für diese Menschen zu sorgen – das Geld dafür ist vorhanden. Sonst ist die Würde der Menschen antastbar.
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